Logik wider alle Vernunft

Gedanken über die Cargo-Kult-Wissenschaft

(Basierend auf einem Vortrag von Richard Feynman, 1974)

Feynmans Vortrag über die  Cargo-Kult-Wissenschaft ist ein Plädoyer für die Integrität und gegen die Selbsttäuschung in der Wissenschaft und im täglichen Leben. Er beginnt seinen Vortrag mit einem Beispiel einer verrückten Idee aus dem Mittelalter. Damals galt  das Horn eines Nashorns als  Aphrodisiakum. Wahrscheinlich führte zum einen die phallische Form des Hornes aber vor allem die 4stündige Begattungszeit dieses Tieres zu der irrigen Annahme. Nach dme Mittelalter hatte man dann eine Methode entwickelt, Ideen zu trennen, in solche, die einen Sinn ergeben und in solche, die nicht funktionieren. Diese rationelle Vorgehensweise bei der Ideen-Selektion und -Elimnation  entwicklete sich so gut, dass man heute glaubt, in einem wissenschaftlichen Zeitalter zu leben und dass wir, wie Feynman sagt, Schwierigkeiten haben zu verstehen,  wieso solche Wunderheiler überhaupt jemals existieren konnten, wo doch nichts, was sie vorschlugen wirklich funktionierte - oder zumindest nur sehr wenig.

Aber Feynman kommt schnell zu dem Schluss, dass wir auch heute nicht in einer wissenschaftlichen Welt leben. "Aber auch heute treffe ich sehr viele Leute, die mich früher oder später in eine Unterhaltung über UFO's,  Astrologie, Formen von Mystizismus, Bewußtseinserweiterungen, neue Arten von Bewußtsein, ESP und so weiter verwickeln. Und ich habe daraus gefolgert, dass wir nicht in einer wissenschaftlichen Welt leben."

Auf seiner Suche zu verstehen, warum die meisten an so viele erstaunliche Dinge glauben, wurde er von der großen Menge von Unsinn überwältigt, die er vorfand. Er beschreibt in humorvoller Weise seine Erfahrungen mit Esalen, ein Massageinstituat an der amerikanischen Westküste, wo einst der Indianerstamm Esselen lebte. Eine Massageprxis mit der Philosophie den Menschen als einmaliges und vollkommenes Individuum zu betrachten. Auch Feynmans Versuche sich von Uri Geller die Gedanken lesen zu lassen schlugen - slebstverständlich - fehl.

Feynman kritisiert aber auch Pseudowissenschaften, die fern von esoterischen Gedanken liegen. Pädagogische Methoden, Kindern das Lesen oder mathematisches Denken beizubringen, die aber keine Erfolge vorzuweisen hätten. Dennoch würden wir solche Methoden nicht absetzen. Ein weiteres Beispiel sei die Art, wie wir Kriminelle behandelten: Eine Menge von Theorien, aber keinerlei Fortschritte die Kriminilatätsrate zu senken.

Zu Unrecht würde man ein solche Dinge als wissenschaftlich bezeichnen. Aber gewöhnliche Leute mit Ideen, die auf dem gesunden Menschenverstand basierten, würden von dieser Pseudowissenschaft eingeschüchtert.

Feynman wörtlich: "In der Südsee existiert ein Cargo-Kult Volk. Während des Krieges Flugzeuge mit vielen brauchbaren Gütern landeten, und nun möchten sie, dass die gleiche Sache wieder passiert.  So sind sie übereingekommen, Landebahnen anzulegen, Leuchtfeuer an deren Seiten zu entfachen und  eine Holzhütte zu bauen, in der ein Mann - der Fluglotse -  mit zwei Holzstücken wie Kopfhörern und Bambusstecken als Antennen sitzt.  Sie warten darauf, dass die Flugzeuge landen. Sie machen alles richtig. Die äußere Form ist perfekt. Es sieht genauso aus, wie es früher ausgesehen hatte. Aber es funktioniert nicht. Keine Flugzeuge landen. Solche Dinge nenne ich Cargo-Kult-Wissenschaft, weil sie all den
scheinbaren Vorschriften und Formen der wissenschaftlichen Untersuchung folgen, aber etwas Wesentliches vermissen lassen, dass nämlich die Flugzeuge nicht landen."

Für Feynman ist wissenschaftliche Integrität  ein Prinzip eines wissenschaftlichen Gedankens der mit absoluter Ehrlichkeit einhergeht. Er sagt, dass man bei der Durchführung eines Experimentes über alles berichten sollte, was es ungültig machen könnte. Man sollte auch mögliche andere Ursachen angeben, die auch die Ergebnisse des Experimentes erklären könnten. Man muss bei einer Veröffentlichung auch alle Details nennen, die Zweifel an der eigenen Interpretation der Theorie aufkommen lassen könnten.

Feynman bringt als Negativbeispiel die Untersuchungen, die sich mit der Verfeinerung des von R. Millikan (1868 - 1953) gefundenen Wertes für die Ladung eines Elektrons befassten. Bis zu Millikans Versuchen kannte man nur den Wert des Verhältnisses zwischen Ladung und Masse eines Elektrons, und man war natürlich an den exakten Werten der Ladung und der Masse eines Elektrons interessiert. Millikan führte folgendes Experiment durch: Durch die Einwirkung von Röntgenstrahlen auf Luft erzeugte er Elektronen.. Diese werden dann von Öltropfen aufgenommen, welche zwischen zwei waagerecht angeordneten Platten sinken. Die Sinkgeschwindigkeit eines Tropfens kann zur Bestimmung seiner Masse benutzt werden. Die Platten werdeb an eine elektrische Spannung  angeschlossen, Pluspol an der obersten Platte.  Dann wird die  Spannung so justiert, dass die Öltropfen in der Schwebe gehalten werden. Aus der Masse des Tropfens und der korrespondierenden Spannung kann man die Ladung eines Tropfens berechnen.

In Millikans Auswertungen seines großartigen Experimentes gab es jedoch einen kleinen Fehler: Er benutzte einen falschen Wert für die Viskosität der Luft. Feynman kritisiert nun den Umgang anderer Wissenschaftler mit dem falschen Wert für die Ladung eines Elektrons. Sie trauten sich nicht einfach zu sagen, dass sie einen neuen "anderen" korrekten Wert gefunden hätten, da sie befürchteten, dass man dann z.B. bei ihren Berechnungen einen Fehler aufdecken könnte. Es wurden sogar Werte eliminierte, die sich zu weit von Millikans Ergebnissen entfernten. Forscher formulierten ihre Ergebnisse mit "ein Wert, der ein wenig größer ist als Millikans" und dann später, aufbauend auf anderen, wurden die Werte in der sprachlichen formulierung weiter immer größer im Verhältnis zu dem von Millikan gefundenen, bis sie sich schließlich dazu durchgerungen hatten nur noch von einem größeren Wert zu reden.

Feynmas erstes Prinzip der wissenschaftlichen Integrität: "Das erste Prinzip besteht darin, sich nicht selbst hereinzulegen - denn das ist die Person, die sich am einfachsten hereinlegen lässt. ... Nachdem man sich nicht selbst hereingelegt hat, ist es einfach, auch nicht die anderen Wissenschaftler hereinzulegen. Danach muss man nur noch auf konventionelle Art und Weise ehrlich sein."

Feynman sieht die Verantwort des Wissenschaftlers nicht nur gegenüber anderen Wissenschaftlern sondern auch gegenüber Laien. Wissenschaftler müssen auch - oder vielleicht besonders - im Umgang mit Nicht-Wissenschaftlern darauf hinweisen, dass sie sich irren können. Feynmans Beispiel eines Freundes, der ihn um Rat fragte, was er im Radio  über die Anwendungen seiner Arbeit sagen sollte.  Er sah keine praktischen Anwendungen seiner Wissenschaft - er arbeitete als Kosmologe und Astronom - und wollte dies nicht im Radio zugegeben, da er fürchtete, dass man ihm dann zukünftig die Gelder streichen würde.

Feynman beendet seinen Vortrag mit den Worten: "Ich habe nur einen Wunsch für Sie - das Glück zu haben irgendwo zu sein, wo Sie die Art von Integrität, die ich beschrieben habe,  aufrechterhalten können und  dass Sie sich nicht wegen Ihrer Position in der Organisation, wegen finanzieller Zuwendungen oder ähnlichem gezwungen fühlen Ihre Integrität zu verlieren. Mögen Sie diese Freiheit haben."

Sicherlich gibt es diese glücklichen Leute, die sich Feynman wünscht, aber in unserer Zeit sind sie eine selten anzutreffende Spezies. Letztere Vermutung entbehrt jedoch noch eines wissenschaftlichen Beweises!

Feynmans Artikel findet sich auch in "Surely You're Joking, Mr. Feynman!"


Richard P. Feynman (1918 - 1988).

Er studierte am Massachusetts Institute of Technology, wo er 1939 seinen B.Sc. (Bakkalaureus der Naturwissenschaften) machte und an der Princeton University promovierte er im Jahre 1942. Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Princeton University (1940-1941), Professor der theoretischen Physik an der Cornell University (1945-1950), danach am California Institute of Technology (1950-1959). 1965 wurde er als ausländisches Mitglied in die  Royal Society in London gewählt. Er erhielt folgende Auszeichnungen: Albert Einstein Award (1954, Princeton); Einstein Award (Albert Einstein Award College of Medicine); Lawrence Award (1962).



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